Zeit-Signale
Warum?
Alle Jahre wieder eine Diskussion zur Akzeptanz des Tanzverbotes am Karfreitag.
Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinsti-tuts YouGov befürworteten im letzten Jahr 50 Pro-zent der Befragten eine Lockerung, 30 Prozent lehnen sie ab. Klar ist: Der Karfreitag verliert an Bedeutung. Doch es gibt auch eine gegenteilige Entwicklung: Im letzten Jahr übertrug der Sender RTL zum zweiten Mal mit einem Millionenpublikum die „Passion“. Die Kirchen haben dieses Event – eine Übertragung des Passionsgeschehens in die heutige Zeit mit modernen Popsongs – weitgehend begrüßt und begleitet. Was vorher stutzig machte, war die Akzentsetzung, die der Sender in seiner Ankündigung vornahm: „Frieden, Nächstenliebe und Zusammenhalt – gerade in schwierigen Zeiten. Die Passionsgeschichte vereint diese Werte und fasziniert schon über 2.000 Jahren lang.“
Es ist von einer Passion die Rede, die scheinbar ohne Gott auskommt. Frieden, Nächstenliebe, Zusammenhalt stehen im Mittelpunkt und scheinen das zu sein, was die Menschen bewegt. Doch was ist mit dem Leid? Es wird nicht ignoriert, doch was ist mit der Frage nach Gott im Leid? Kommt er in Jesu Leid, kommt er in Ihrem Leid, in meinem Leid vor? Gott-loses Leid? Ist es so, wie Jesus es selbst in der Passionserzählung ausruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Und wie es vielleicht viele Menschen empfinden – in der Ukraine, im Heiligen Land und an so vielen vergessenen Orten der Welt.
Diese Fragen muss ich aushalten, ich muss den Karfreitag aushalten. Ich darf auch als Christ – im Glauben an Ostern – den Karfreitag nicht überspringen. Ich muss mich den Fragen dieses Tages stellen: Warum musste Christus sterben? Warum wusste Gott keinen anderen Weg zu unserer Erlösung? Und warum steht das Kreuz immer noch in unserem Leben? Warum müssen Menschen leiden? Diese Fragen können an meinem Glauben nagen, meine Existenz als Christ infrage stellen. Warum? Das ist die Frage des Karfreitags. Eine trostlose Situation ist eine von Gott verlassene Situation, eine gottferne Zeit. Eine Situation, in der Jesus am Kreuz schrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Mit ihm fragen die vielen, die persönliches Leid erfahren haben.
Einen Sinn vermag ich in all dem Leid nicht zu erkennen. Und dennoch muss ich nach dem Warum fragen, weil ich daran glaube, dass nichts gegen Gottes Willen auf der Welt geschieht. Nicht, dass er mit allem einverstanden wäre – im Gegenteil: Gott leidet an dem, was Menschen an Leid erfahren, sei es durch andere Menschen oder durch Unglücke und Naturkatastrophen. Doch er lässt es geschehen. Warum? In seinem Tod stürzt sich Jesus in einen Abgrund, wo Gott nicht mehr ist, er stürzt sich in die Gottverlassenheit. Noch weiß er nicht, dass er durch seinen Tod Gott dahin bringt, wo er bisher nicht war: in die Gott verneinende Nacht des Todes. Deshalb ist Jesu Leiden einzigartig und unvergleichlich, weil er der Einzige ist, der im Augenblick seines Todes auch die Verlassenheit von Gott erleidet.
Was für ein Trost: Seit Jesu Tod ist kein Mensch mehr von Gott verlassen, im Leben nicht, im Sterben nicht und selbst in seinem Tod nicht. Die Anwesenheit Gottes kennt keine Grenzen.
Michael Tillmann
Bild: Manuela Steffan In: Pfarrbriefservice.de