Katholische Pfarrgemeinde  Dom zum Heiligen Kreuz

Nordhausen

Liturgie - Da staune ich aber...


Christentum ist das, was wir einmal waren?

Der französische (Alt-)Historiker Paul Veyne (1930–2022) hat einmal sinngemäß gesagt, dass wir heute ein Haus bewohnen, in dem einmal Christen gewohnt haben. Ein Kruzifix an der Wand, vielleicht eine Bibel im Regal. Wir erfreuen uns an großartigen Kathedralen oder an der Matthäuspassion von Bach, doch Christen sind wir nicht mehr.
Für Paul Veyne ist „Christentum das, was wir einmal waren“. 

Foto: Peter Weidemann; In Pfarrbriefservice.de

Der Fisch als Christussymbol an einem Auto

Als Historiker beschreibt Veyne natürlich nicht das religiöse – oder eben auch nicht mehr religiöse – Leben individueller Christen, sondern die Gesellschaften Europas. Noch einmal Paul Veyne: „Wir bewohnen ein altes Haus, wir leben in einem historischen Rahmen, aber die wenigsten von uns teilen die Überzeugungen und Verhaltensweisen der früheren Bewohner.“

Dieses rund 15 Jahre alte Urteil des Historikers wird durch die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen Kirche – bei der zum ersten Mal auch Katholiken befragt wurden – bestätigt: Rund 13 Prozent der Bevölkerung bezeichnet sich als kirchlich-religiös, rund 25 Prozent als religiös-distanziert, die restlichen 62 Prozent rechnen sich größtenteils der Gruppe der Säkularen zu, die von sich sagt, dass Religiosität in ihrem Leben keine Rolle spielt und die religiös nicht mehr ansprechbar sind.
So weit, so schlecht – und stark reduziert – die Ergebnisse der Untersuchung. 

Foto: Peter Weidemann; In: Pfarrbriefservice.de

Christentum ist das, was wir einmal waren? Nun möchte ich für mich energisch widersprechen: Der christliche Glaube ist für mich Mitte und Sinn meines Lebens; von Gott her komme ich, zu ihm lebe ich hin. Der Glaube ist für mich zunächst persönliche Gottesbeziehung, alles andere muss dagegen in den Hintergrund treten – und deshalb sind das Lesen von Gottes Wort sowie Gebet und Gottesdienst die fundamentalen Formen, diese Beziehung zu leben. Natürlich nicht die einzigen: die Liebe zu Gott ist nicht möglich ohne die praktisch gelebte Liebe zum Nächsten.

Bleibt das vernichtende Urteil im Blick auf die europäischen Gesellschaften. Doch hat sich da wirklich so viel verändert: Waren es christlich-religiöse Gesellschaften, die vor rund 100 Jahren Nationalsozialismus und Faschismus hervorgebracht haben, in denen ein manchmal Menschen verachtender Kapitalismus den Siegeszug antreten konnte oder die in ungezählten Kriegen Millionen Menschen töteten? Das ist kein Trost, doch verändert sich ein wenig der Blickwinkel, und wir können vielleicht bescheidener werden: Die gute alte Zeit mag alt gewesen sein, gut war sie auch nicht (immer). Christlichem Glauben wehte schon immer ein heftiger Wind entgegen oder – um mit dem Evangelium zu sprechen – nur ein geringer Teil des Samens (= des göttlichen Wortes) fiel auf fruchtbaren Boden: und brachte hundertfache Frucht. 

Der christliche Glaube hat Millionen und Abermillionen Menschen getröstet, geholfen und Mut gemacht. Dafür lohnt es sich zu leben und zu glauben.

Michael Tillmann


Quelle: Image-Online; Bergmoser + Höller Verlag AG
Fotos: Peter Weidemann; In: Pfarrbriefservice.de

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